Martine Lestrat: Bonjour Deutschland!

Seit über 30 Jahren lebt die gebürtige Französin Martine Lestrat in Deutschland. Schon einiges hat sie in dieser Zeit mit den Deutschen und der deutschen Sprache erlebt: Was versteckt sich zum Beispiel hinter der kurzen Feststellung «Es zieht!»? Wer zieht denn? Und was wird überhaupt gezogen? Hat die Aufforderung «Warten Sie ruhig hier» mit ihrem lebhaften Temperament zu tun? Sind die beiden Weltkriege immer noch präsent im deutsch-französischen Alltag, und wie wurde mit ihr als ausländischer Kollegin am Arbeitsplatz umgegangen? Wie kam sie mit der deutschen Umarmung klar und … ist sie überhaupt eine «echte» Französin?

Lustige und nachdenklich machende Geschichten – humorvoll betrachtet und geschrieben von Martine Lestrat.


Martine Lestrat

Bonjour Deutschland!

Blick ins Buch

© Elvea 2020 | Alle Rechte vorbehalten!


Vorwort

Bonjour, liebe Leserinnen und Leser!

Wie Joachim Ringelnatz im «Avant-Propos» (Vorwort) seines Buchs «Hafenkneipe» – jedoch nicht so drastisch – möchte ich Sie auf einige Besonderheiten in diesem Buch vorbereiten.

Trotz der neuen Rechtschreibung möchte ich «Du», «Ihr» sowie die entsprechenden Personalpronomen weiterhin großschreiben. Wenn ich «Deine» oder «Euch» schreibe, ist es für mich höflicher. Genauso wie «Sie» oder «Ihre». Ich verbinde damit Respekt und Würdigung meiner Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Dadurch zeige ich, wie wichtig sie mir sind.

Ich bin die französischen Guillemets (« … »), die vom Zitat wegzeigen, gewohnt. Bei den deutschen (»…«), die andersrum gesetzt werden, muss ich mich beim Lesen sehr konzentrieren, um zu wissen, was inner- oder außerhalb des Zitats steht.

Die deutschen Gänsefüßchen („…“) verwirren mich noch mehr. Wenn dagegen so­wohl die an- als auch abführenden Striche oben stehen („…“) ist es für mich viel deutlicher. Sehr gern hätte ich mich für diese Zeichen entschieden, denn ich benutze sie privat. Leider handelt es sich dabei aber nicht um Anführungszeichen, wie mir meine Lektorin erklärte, sondern um Zollzeichen, die im Buchdruck niemals als Anführungszeichen eingesetzt werden. Schade. Was sollte ich also tun? Nun habe ich einen wunderbaren deutsch-französischen Kompromiss gefunden, den ich schon in anderen deutschen Büchern entdeckt habe: französische Guillemets («…»), allerdings ohne Leer­schritt zwischen den Guillemets und dem anzuführ­enden Text. Also so, wie es in Deutschland üblich ist.

Die in diesem Buch gesammelten Anekdoten sind nicht chronologisch, sondern nach Themen geordnet und daher ab dem zweiten Kapitel in beliebiger Reihenfolge zu lesen. Springen Sie doch einfach nach Lust und Laune durch die Erzählungen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei!

Martine Lestrat


Willkommen in Deutschland!

Ich will nach Deutschland

Bitte treten Sie ein!


Ich will nach Deutschland

Als ich 1984 an meinem damaligen Arbeitsplatz in Nordfrankreich mit Freude ankündigte, dass ich nach Deutschland zu meinem Freund umziehen werde, erwiderte mein Vorgesetzter: «Man sollte Dir eigentlich den Kopf rasieren, weil Du mit einem Deutschen schläfst. Man sieht sowieso, dass Du mit Deutschen zu tun hast. Du trägst schon Stiefeletten.»

Mir blieb die Spucke weg. Mit so einer Reaktion hatte ich wirklich nicht gerechnet.

Ein Patient – damals arbeitete ich in einem psychia­trischen Krankenhaus – sagte enttäuscht: «Ich hätte nicht von Dir gedacht, dass Du mit einem boche ins Bett gehst.»

Boche, «bosch» ausgesprochen, war eine Bezeichnung für die deutschen Soldaten während der Kriege (angeblich wegen ihres Helms, französisch caboche). Ich antwortete: «Serge, er ist kein boche, sondern ein Deutscher, und der Krieg ist längst vorbei.»

Zum Glück hatte ich selten mit solchen Äußerungen zu tun. Das Thema Krieg zwischen diesen beiden Ländern ist leider immer noch präsent. Erfreulicherweise nur bei wenigen Menschen. Familienangehörige, Freunde und Bekannte fragten eher besorgt: «Kannst Du Deutsch?»

«Ähmm … nein.»

«Hast Du schon einen neuen Arbeitsplatz?»

«Nein.»

«Und wie willst Du das machen? Wie stellst Du Dir das vor?»

«Ach, es wird schon gehen.»

Ich bin schon immer eine Optimistin gewesen. Noch dazu war ich verliebt. Ich hatte meinen Freund zwei Jahre zuvor kennengelernt und wollte sowieso seit einiger Zeit weg von zu Hause. Also, warum nicht nach Deutschland? Nach monatelangem Hin- und Herfahren zwischen Frankreich und Deutschland wurde es langsam Zeit, zu überlegen, wie es weitergeht.

Viele hatten Bedenken. Ich nicht. Ich hatte ein gutes Gefühl. Und ich hatte recht: Es ging! Es ging sogar sehr gut! Es war die richtige Entscheidung. Ich bin so froh, dass ich diesen Schritt ins Unbekannte gewagt habe. Dass ich «Bonjour Deutschland!» sagen wollte.

Bitte treten Sie ein!

Sobald feststand, dass ich nach Deutschland umziehen werde, bat ich einen Bekannten, der Deutschlehrer war, mir das Wichtigste beizubringen. Der Arme! Er war völlig überfordert. Wie sollte er mir in einer Stunde das beibringen, wofür er bei seinen Schülern mehrere Jahre brauchte?

Das Einzige, was aus diesem Turbounterricht bei mir haften blieb, war «Bitte nehmen Sie Platz», «Bitte treten Sie ein» und «Großvater ist hungrig». Mitbekommen habe ich auch, dass es starke und schwache Verben gibt und, dass Substantive großgeschrieben werden. Das müsste doch reichen, um nach Deutschland zu kommen, oder?

Außerdem hatte ich im Gymnasium von einer Mitschülerin den Satz gelernt: «Ich habe meinen Weihnachtswunschzettel gemacht.» Und mein Freund, der später mein Ehemann wurde, hatte mir «Ich hätte gerne ein Doppelzimmer für eine Nacht» beigebracht. Ich war also gut gerüstet für meine Ankunft in dem neuen Land.

Um das Studium der Sozialpädagogik beginnen zu können, musste ich ein Vorpraktikum in einer sozialen Einrichtung absolvieren. Ich hatte zwar schon vorher vier Jahre in der Psychiatrie gearbeitet, leider erkannte die Fachhochschule Tätigkeiten in Frankreich nicht an. Ich musste mich also auf die Suche begeben. Eine Freundin meines Lebenspartners hatte einen Onkel, der Leiter einer solchen Einrichtung war. Wunderbar!

Als wir zum Vorstellungsgespräch an der Tür klingelten, machte dieser sehr freundliche Mann auf und begrüßte uns mit einem «Bitte treten Sie ein!». Er führte uns ins Wohnzimmer und meinte dann: «Bitte nehmen Sie Platz!»

Unglaublich! Er benutzte tatsächlich diese beiden mir bekannten Formulierungen. Ich musste mir fast auf die Zunge beißen, um nicht loszuprusten. Da hörte ich plötzlich das schallende Lachen meines Freundes. Unser Gastgeber schaute etwas irritiert. Mein Freund erklärte ihm: «Bisher konnte Martine folgen. Ab jetzt wird sie aber gar nichts mehr verstehen.»

Leider wurde nichts aus dieser Bewerbung, denn es handelte sich um eine Einrichtung für schwerhörige Kinder. Voraussetzung für eine Mitarbeit war eine sehr deutliche Aussprache. Und da, gebe ich zu, musste ich leider passen.


Das Buch ist als eBook, Taschenbuch, Großdruck und Hörbuch im Buchhandel erhältlich.


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